EU-Ratsvorsitz: Macron pocht auf starkes und unabhängiges Europa

Brüssel, Berlin Die Rede vor dem Europaparlament ist ein Pflichttermin für Emmanuel Macron. Seit Anfang des Jahres hat Frankreich den EU-Ratsvorsitz inne, und in dieser Rolle erklärt der Präsident seine europäische Agenda für die nächsten sechs Monate. Doch seine Rede richtete sich am Mittwoch nicht nur an die Abgeordneten in Straßburg und die Regierungen in den Mitgliedstaaten.

Zu den Adressaten zählte auch Russlands Präsident Wladimir Putin: Angesichts des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine erinnerte Macron den Kreml-Chef daran, dass Moskau vor drei Jahrzehnten einer europäischen Ordnung zugestimmt habe, die auf dem Prinzip unverletzlicher Staatsgrenzen sowie dem Verzicht auf militärische Gewalt und Drohungen basiert.

Macron rief die Europäer in seiner Rede auf, diese Prinzipien zu verteidigen und Verstöße zu sanktionieren. Zugleich schlug er vor, eine neue „Sicherheits- und Stabilitätsordnung“ zu schaffen, an der Russland beteiligt werden soll. Der französische Präsident will nicht hinnehmen, dass es in diesen Wochen faktisch die Russen und die Amerikaner sind, die über Krieg und Frieden an den Grenzen der Europäischen Union verhandeln.

Die Nebenrolle der Europäer ist ein Realitätsschock für Macrons Vision eines souveränen Europas, das sein Schicksal in der Welt selbst bestimmen kann. Auch in seiner Rede vor dem Europaparlament sprach er über die EU als „Macht der Zukunft“, die in der Lage sein müsse, auf die Herausforderungen beim Klimawandel, bei der digitalen Transformation und in der Geopolitik zu reagieren.

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Die Ukraine-Krise ist für Macron nur ein weiterer Beleg dafür, dass die Europäer ihr Schicksal stärker in die Hand nehmen müssen. In drei Schritten will er die neue Sicherheitsordnung ausarbeiten: Zuerst soll sich die EU auf einen Plan einigen, dann will Macron diesen in der Nato abstimmen und ihn dann Russland vorlegen.

EU fürchtet russischen Einmarsch in die Ukraine

Macron will darin den Umgang mit Nuklearwaffen regeln, die Kontrolle konventioneller Waffen, Transparenz für militärische Aktivitäten und den Respekt vor der Souveränität von Staaten. Genauere Angaben machte der Präsident dazu nicht.

Sein Angebot könnte als Ausweg aus der komplizierten diplomatischen Situation gedacht sein, in der sich Russland und der Westen derzeit befinden. Russland hat sein Militär vor der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Der Kreml begleitet dies mit Aussagen, die darauf schließen lassen, dass er die Ukraine als rechtmäßigen Teil Russlands betrachtet. Westliche Staaten fürchten darum, dass Russland einen Einmarsch vorbereitet.

Seit Jahren verteidige er den Dialog mit Russland, sagte Macron. Gleichzeitig drohte er Sanktionen an, wenn Moskau die geltenden Regeln verletze. Dabei zählte er auch die Entscheidungsfreiheit souveräner Staaten auf. Damit wies Macron die Forderung Russlands zurück, dass keine weiteren osteuropäischen Staaten in die Nato aufgenommen werden dürften.

Wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich Macron dafür aus, das Normandie-Format wiederzubeleben, mit dem Frankreich, Deutschland, die Ukraine und Russland seit 2014 über die Besetzung von Teilen der Ukraine durch Russland sprachen.

Seit 2019 hat kein Gespräch mehr stattgefunden. Russland lehnt ein Treffen bislang ab. Stattdessen will sich Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag mit seinem US-Kollegen Antony Blinken in Genf treffen.

Macron hat viele Pläne

Macron hatte sich für die halbjährige Ratspräsidentschaft auch vor seinem Vorstoß im Ukraine-Konflikt schon viel vorgenommen. Mit den Details seines Programms, die er bereits Mitte Dezember in Paris präsentiert hatte, hielt er sich im Europaparlament aber nicht auf.

Ihm ging es in seiner Rede um die großen Linien, den philosophischen Überbau seiner ambitionierten Agenda für Europa. Im Kern stehen drei Versprechen: Demokratie und Rechtsstaat, sozialer und wirtschaftlicher Fortschritt sowie Frieden und Sicherheit.

„Es ist unsere Aufgabe und ohne Zweifel die Aufgabe unserer Generation, diese Versprechen auf ein neues Fundament zu stellen“, sagte Macron. Hinter seiner Forderung nach einer neue Sicherheitsarchitektur mit Beteiligung Russlands steht die Idee, dass Europa in der Welt als unabhängige „Macht des Ausgleichs“ auftreten müsse. In Deutschland, vor allem aber in osteuropäischen Staaten, stößt er damit aber große Skepsis.

Macron sieht auch die europäischen Grundwerte in Gefahr – durch die Politik Russlands, aber auch durch das Handeln der Regierungen in Polen und in Ungarn. „Wir befinden uns in einem Kampf um die liberale Demokratie, einem Kampf gegen die ausländische Einmischung in unsere Wahlen“, sagte er. „Das Ende des Rechtsstaates bedeutet die Rückkehr zu autoritären Regimen.“

In einigen europäischen Hauptstädten sei man der Ansicht, dass rechtsstaatliche Prinzipien eine „Erfindung von Brüssel“ seien. Doch sie seien Teil der europäischen Zivilisation und in den Verträgen der EU verankert. „Der Rechtsstaat ist unser Schatz“, sagte Macron.

Der französische Präsident kündigte an, sich für die Aufnahme des Umweltschutzes und des Rechts auf Abtreibung in die europäische Grundrechtecharta einzusetzen. Es gehe darum, die Menschen wieder neu vom Wert des Rechtsstaats und der Demokratie in der Europäischen Union zu überzeugen.

Die Grundrechtecharta der EU wurde 2000 unterzeichnet und ist seit Dezember 2009 rechtsverbindlich – das heißt, EU-Bürger können auf dieser Basis ihre Grundrechte einklagen. Der Text fasst alle bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der europäischen Bürger zusammen. Macron kündigte außerdem an, sich auf EU-Ebene für eine Frauenquote in Aufsichtsräten einzusetzen.

Mehr: Zersplittert und teils populistisch: Warum Frankreichs Linke die Bedeutungslosigkeit droht

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