Berlin, Düsseldorf Amos Hochstein ist in Europa kaum bekannt – trotzdem könnte der 49-jährige Amerikaner eine Schlüsselrolle im Ukrainekonflikt spielen. Hochstein ist US-Sondergesandter für Energiesicherheit im Außenministerium. Er ist in der amerikanischen Energiewirtschaft und Politik so vernetzt wie kein anderer. Und er ist der entschiedenste Vertreter einer harten Linie gegenüber Russland.
Bereits im Herbst, noch bevor die Versorgungsengpässe in Europa akut wurden, forderte Hochstein, wie Russland Energie als Waffe einzusetzen. Und noch bevor der Ukrainekonflikt Ende Dezember eskalierte, warb Hochstein, der eigentlich entschiedener Gegner der Ostseepipeline Nord Stream 2 ist, die transatlantische Einheit gegenüber Moskau im Konflikt darüber nicht zu gefährden.
Jetzt hat der Sonderbeauftragte seine wohl wichtigste Aufgabe in der Ukrainekrise: US-Präsident Joe Biden will Europa vor möglichen Gegenreaktionen Russlands auf westliche Sanktionen schützen. Die US-Regierung bereitet proaktiv Notfallpläne für Gaslieferungen nach Europa vor für den Fall, dass Russlands Präsident Wladimir Putin Gaslieferungen unterbricht.
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats bestätigte die Notfallplanungen. Das US-Außenministerium habe dafür Gespräche mit Energiekonzernen aufgenommen, hatte zuvor die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Branchen- und Regierungskreise berichtet. Die EU bezieht rund ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland.
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Die Zeichen stehen auf Eskalation
Tatsächlich stehen die Zeichen im Ukrainekonflikt auf Eskalation. Die diplomatischen Bemühungen in der vergangenen Woche – die Gespräche zwischen den USA und Russland in Genf, der Russland-Nato-Rat in Brüssel und die Gipfel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien – haben die Lage nicht entschärft.
Im Gegenteil: Russland provoziert weiter, als sei nichts geschehen. Die USA warnen vor dem „Ernstfall“. Der Nationale Sicherheitsberater, Jake Sullivan, sagte mit Blick auf den russischen Truppenaufmarsch von 100.000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine: „Die Gefahr einer militärischen Invasion ist hoch.“ Der wichtigste Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden forderte Moskau zur Deeskalation und zur Reduzierung der Soldaten in der Region auf.
Sollte sich Russland zu einer Invasion in das Nachbarland entschließen, „werden die Konsequenzen deutlich härter als in der Vergangenheit sein“, warnte sein Außenminister Antony Blinken. Die USA würden dann auch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aktivieren. „Alle Optionen für eine Reaktion des Sicherheitsrats liegen auf dem Tisch“, teilte die US-Regierung mit.
Die Warnung verhallt in Moskau. Bereits am Freitag begann Präsident Wladimir Putin, an der Grenze zur Ukraine erneut Militärmanöver abzuhalten. Im Wehrbezirk Ost habe es eine nicht angekündigte Überprüfung der Gefechtsbereitschaft gegeben, teilte das Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Moskau mit.
Es veröffentlichte dazu ein Video, das Kolonnen von Militärfahrzeugen und die Verladung von Panzern auf Eisenbahnwaggons zeigte. Soldaten seien zu entfernten Übungsplätzen gebracht worden. Ein Augenmerk habe zudem auf der Infrastruktur gelegen, „um den Transport von Truppen innerhalb einer bestimmten Zeit zu gewährleisten“, hieß es.
Auch die Cyberattacken auf die Ukraine gehen weiter: Nachdem am Freitag zahlreiche Behörden-Websites lahmgelegt und mit dem Spruch „Habt Angst und erwartet das Schlimmste“ versehen wurde, teilte Microsoft am Sonnabend weitere Angriffe in der Ukraine mit: Es sei sehr umfangreich Schadsoftware eingeschleust worden.
Die Angaben auf dem Blog des US-Softwareunternehmen legen nahe, dass der Webseiten-Angriff Ablenkung war, um die Malware einzusetzen. Die EU hat inzwischen Kiew umfangreiche Hilfe bei der Abwehr von Cyberattacken zugesagt
Russlands OSZE-Vertreter spricht inzwischen von einem „Moment der Wahrheit“ in der nächsten Woche. Bis dahin verlangt Moskau eine schriftliche Antwort auf seine Forderungen nach einem Nato-Beitrittsverbot für die Ukraine, den Rückzug der Allianz aus Osteuropa und den Abzug amerikanischer Atomwaffen.
Und Alexander Lukaschewitsch fügte hinzu: „Russland ist ein friedliebendes Land. Aber wir brauchen keinen Frieden um jeden Preis.“ Die „Kriegsgefahr in Europa ist so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr“, warnte bereits Polens Außenminister Zbigniew Rau, der momentan die OSZE führt.
Russland droht mit Stationierung von Truppen in Lateinamerika
Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, zündelt Moskau jetzt auch im Vorhof der USA: Im Falle eines Scheiterns der Gespräche über verbindliche Sicherheitsgarantien für Russland wurde die Stationierung russischer Truppen auf Kuba und in Venezuela angedroht. „Wenn Russland sich in diese Richtung bewegen würde, würden wir entschlossen handeln“, sagte US-Sicherheitsberater Sullivan dazu. Die USA und ihre Verbündeten seien „auf jede Eventualität vorbereitet“.
Die US-Regierung warf Moskau zudem vor, mit Sabotageakten „unter falscher Flagge“ in der Ostukraine einen Vorwand für einen Einmarsch vorzubereiten. Nach US-Informationen seien dafür bereits in „urbaner Kriegsführung“ geschulte Agenten aufgestellt worden, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki.
Die Informationen deuteten darauf hin, dass diese Agenten beginnen würden, mit Provokationen in staatlichen und sozialen Medien eine Intervention zu rechtfertigen. „In diesen Medienberichten wird auch der Westen für die Eskalation der Spannungen verantwortlich gemacht“, sagte sie. Man habe dieses Vorgehen bereits 2014 bei der Annexion der Krim gesehen.
Russland hat die Vorwürfe der USA als „haltlos“ zurückgewiesen. Wie so oft würden von US-Seite vermeintliche Sensationsnachrichten gestreut, ohne dass es dafür eine Grundlage gebe, teilte die russische Botschaft in Washington am Samstag mit. „Wie üblich werden keine Beweise vorgelegt.“
Die russische Botschaft forderte die US-Seite auf, den „Informationsdruck“ zu beenden und zu sachlicher Arbeit überzugehen. „Russland ist gegen Krieg. Wir sind für eine diplomatische Lösung aller internationalen Probleme.“
In Washington wächst derweil die Ungeduld darüber, dass sich die EU noch nicht auf konkrete Sanktionen geeinigt hat, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, berichteten führende US-Medien über das Wochenende. So wird die diskutierte Abschaltung Russlands vom internationalen Swift-Zahlungssystem von einigen EU-Ländern abgelehnt.
Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan räumte ein, dass sich die USA und die EU „noch nicht vollständig einig seien“. So warnte zuletzt auch der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz davor, Russland von Swift auszuschließen. „Swift infrage zu stellen, das könnte die Atombombe für die Kapitalmärkte sein.“ Er warnte vor „massiven ökonomischen Rückschlägen“ auch für Deutschland.
Russische Wirtschaft leidet zunehmend
Die wachsenden Spannungen mit dem Westen belasten allerdings zunächst vor allem die russische Wirtschaft. Der Moskauer Aktienindex RTS gab am Donnerstag und Freitag um fast zehn Prozent nach. Die russische Landeswährung ist auf den niedrigsten Stand seit Juni vergangenen Jahres gefallen. Die Nervosität bei russischen Banken, denen der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem Swift droht, wächst erheblich.
Bis eine neue Einigung erzielt wird, werden russische Vermögenswerte mit einem erheblichen Risikoaufschlag gehandelt und Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen hinauszögern“, warnt die Credit Suisse in einer aktuellen Russlandanalyse.
Russland sieht sich durch die Nato in seiner Sicherheit bedroht, fordert von ihr deshalb ein Ende der Osterweiterung und insbesondere einen Verzicht auf die Aufnahme der Ukraine sowie den Rückzug von Einheiten, die seit 1997 in Osteuropa stationiert wurden. Die Nato– und EU-Mitglieder lehnen das geschlossen ab und betonen, dass jedes Land selbst über seine Mitgliedschaft in Bündnissen entscheide.
Baerbock reist nach Kiew und Moskau
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die in der kommenden Woche nach Kiew und Moskau reist, warb zuletzt ungeachtet der bislang ausgebliebenen Ergebnisse für eine Fortsetzung der Gespräche mit Russland.
Die Ukraine hofft auf deutsche Waffenlieferungen. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, forderte Baerbock eindringlich auf, Kiew die Lieferung von Waffen zur Landesverteidigung zuzusagen. Die Zurückhaltung oder sogar Ablehnung von Rüstungshilfe durch Baerbock und die gesamte neue Bundesregierung sei „sehr frustrierend und bitter“, sagte er.
Ob Putin am Ende die militärische Eskalation wagt oder doch noch Verhandlungen über eine gegenseitige Verbesserung der Sicherheitslage zulässt, ist offen. Westliche Politiker wollen mit Moskau über neue Rüstungskontrollinitiativen, konkrete Abrüstungsschritte und mehr Transparenz bei Manövern sprechen. Ziel ist, dem Gegenüber Sorgen vor unerwarteten Militäraktionen zu nehmen.
Nur machte Russlands Außenminister Sergej Lawrow deutlich, dass Moskau schriftliche Sicherheitsgarantien über den Rückzug der Nato fordert und nicht endlos über Abrüstungsschritte reden wolle. Tom Schwartz, Politikprofessor an der Vanderbilt University, spricht von einem „Moment der Prüfung“ für den Westen. Putin setze alles daran, Macht zu demonstrieren. „Er will zeigen, dass die von Amerika geführte internationale Ordnung ziemlich zerbrechlich ist.“
Am Ende liegt vielleicht die einzige Hoffnung darin, dass es bald zu einem Gipfeltreffen zwischen Wladimir Putin und Joe Biden kommt.
Als Barack Obama Russland bescheinigte, „nur noch Regionalmacht“ zu sein, beleidigte er den Kreml tief, sagt ein einflussreicher russischer Abgeordneter, der sich in der Aufwallung nationalistischer Gefühle in Moskau nicht namentlich zitieren lassen will. Aus diesem Grund zähle für Russland nur die Augenhöhe mit Washington und die Rückkehr zum Status einer Großmacht.
Mehr: Verhandeln mit dem russischen Aggressor: Was will Putin?
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