Frankfurt Die DZ Bank und der Energiekonzern EnBW sehen große Gefahren durch neue Nachhaltigkeitsregeln im Finanzsektor. „Die aktuelle Regulierung setzt Fehlanreize“, warnt DZ-Bank-Co-Chef Cornelius Riese in einem Handelsblatt-Doppelinterview mit EnBW-Finanzchef Thomas Kusterer.
Wenn die Geldhäuser künftig nur noch grüne Firmen und Projekte finanzieren würde, hätten 95 Prozent der deutschen Unternehmen ein Problem, sagte Riese. Bei EnBW hätten sich bisher zwar noch keine Banken verabschiedet, sagte Finanzchef Kusterer. „Aber künftig besteht dieses Risiko, das ist nicht von der Hand zu weisen.“
Sollten sich die Banken bei EnBW zurückziehen, fürchtet Kusterer höhere Finanzierungskosten. „Wir würden dann weniger verdienen und hätten somit auch weniger Möglichkeiten zu investieren“, sagte er. „Der Ausbau erneuerbarer Energien würde dann vermutlich langsamer vonstattengehen, und das wäre nicht im Interesse des Klimas und unserer Gesellschaft.“
Herr Riese, Herr Kusterer, wir wollen über die Finanzierung des Umbaus der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, kurz ESG, sprechen. Wird das unter den aktuellen Rahmenbedingungen gelingen?
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Cornelius Riese: Die Transformation eines der größten Industriestandorte der Welt ist eine gewaltige Aufgabe. Der Finanzbranche kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu. Verlässliche Rahmenbedingungen sind hier für uns entscheidend. Die Nachhaltigkeitsregulatorik für den Finanzmarkt bringt aber auch Risiken mit sich, etwa indem Investitionen in „grün“ oder „schlecht“ eingestuft werden.
Inwiefern ist das ein Risiko?
Riese: Die Finanzierung von Unternehmen, die noch nicht tiefgrün sind und nachhaltiger werden wollen, ist der entscheidende Hebel in Richtung einer CO2-neutralen Wirtschaft. EnBW ist dafür ein Beispiel. Das Unternehmen betreibt zwar noch Kohle- und Gaskraftwerke, hat aber einen klaren Ausstiegspfad. Gleichzeitig stehen große Investitionen an, die unmittelbar CO2 reduzieren und erneuerbare Energien ausbauen.
Thomas Kusterer: Bisher hat sich noch keine unserer Banken zurückgezogen. Aber künftig besteht dieses Risiko, das ist nicht von der Hand zu weisen. Für uns wäre das dann ein durchaus ernstes Thema, denn wir wollen bis 2025 netto rund zwölf Milliarden Euro in den Umbau der Energielandschaft investieren: in den Ausbau erneuerbarer Energien, die Netzinfrastruktur, die E-Mobilität und den Bau neuer Gaskraftwerke. Diese wollen wir perspektivisch dann auf Wasserstoff umstellen und CO2-frei betreiben.
Woher rühren Ihre Sorgen? Gaskraftwerke sollen im Rahmen der EU-Taxonomie doch als nachhaltig eingestuft werden – auch wenn Umweltschützer das zweifelhaft finden.
Kusterer: Wir begrüßen, dass die Kommission zumindest einige wenige Verbesserungen der Kriterien für Erdgas vorgenommen hat, insbesondere das Streichen der Beimischungsanforderungen ab 2026. Dies wird aber nicht ausreichen. So darf etwa der CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde unverändert maximal 270 Gramm betragen. Das schaffen aber selbst die modernsten Gaskraftwerke heutzutage nicht. Damit ist die Qualifizierung des Großteils der für die Energiewende in Deutschland benötigten Investitionen weiterhin größtenteils de facto ausgeschlossen.
Kernkraftwerk in Neckarwestheim
EnBW will sein letztes Atomkraftwerk Ende 2022 abschalten, obwohl Atomkraft in der EU-Taxonomie als nachhaltig eingestuft wird. „Das Thema ist für uns durch“, sagt Finanzchef Thomas Kusterer.
Was passiert mit der Finanzierung von Energiekonzernen wie EnBW, wenn es beim aktuell vorgesehenen Regelwerk bleibt?
Riese: Die aktuelle Regulierung setzt Fehlanreize. Ein möglicher und extremer Weg zu einem klimaneutralen Portfolio wäre, wenn alle Banken innerhalb von wenigen Monaten nur noch ausschließlich grüne Unternehmen und Projekte finanzieren. Dann haben aber 95 Prozent der deutschen Unternehmen ein Problem. Dem Klima wäre damit am wenigsten geholfen. Dann wandert die Industrie entweder in andere Regionen mit geringeren Umweltauflagen ab, oder sie ist auf die Finanzierung von Hedgefonds, Oligarchen und anderen Akteuren im unregulierten Bereich angewiesen. Wir sollten und wollen Unternehmen aber bei ihrer Transformation begleiten.
Herr Kusterer, haben Sie sich schon mit alternativen Finanzierungsmöglichkeiten wie Hedgefonds beschäftigt, wenn Banken Sie künftig nicht mehr finanzieren?
Kusterer: Wir hoffen nicht, dass es so weit kommt, denn das wäre am Ende nicht gut für die Energiewende. Ein kleinerer Investorenkreis hätte unweigerlich Auswirkungen auf unsere Kapitalkosten. Unsere gesamte Unternehmensfinanzierung würde teurer. Davon wären nicht nur neue Gaskraftwerke betroffen, in die nur ein Bruchteil unserer Investitionen fließt, sondern auch der Ausbau der Netzinfrastruktur und erneuerbarer Energien. Davon hätte niemand was.
Wie würde EnBW reagieren, wenn es so kommt? Müsste sich der Konzern dann wie Eon aufspalten in einen Teil, der sich auf erneuerbare Energien konzentriert, und einen anderen Teil für die Gas- und Kohlekraftwerke?
Kusterer: Aufspalten ist für uns kein Thema. Aber natürlich müssten wir auf die höheren Finanzierungskosten reagieren. Wir würden dann weniger verdienen und hätten somit auch weniger Möglichkeiten zu investieren, denn wir finanzieren uns ja nicht nur über Banken, sondern auch über unseren eigenen Cashflow. Der Ausbau erneuerbarer Energien würde dann vermutlich langsamer vonstattengehen, und das wäre nicht im Interesse des Klimas und unserer Gesellschaft.
Atomkraft wird in der EU-Taxonomie als nachhaltig eingestuft. Weinen Sie Ihren Atomkraftwerken eine Träne nach?
Kusterer: Nein, das Thema ist für uns durch. Wir haben den Atomausstieg 2011 beschlossen und werden Ende 2022 unser letztes Atomkraftwerk abschalten.
Riese: An der Stelle gibt es in der EU-Taxonomie einen Denkfehler. Aus meiner Sicht sind Atom und Gas nicht grün, aber wir brauchen in Deutschland Gaskraftwerke für einen Übergangszeitraum. Insofern ist die entscheidende Frage, was für die Transformation zweckmäßig ist. Derzeit sind Gaswerke das noch – daher müssen sie auch finanzierbar bleiben.
In Deutschland wird darüber diskutiert, den aktuell für 2038 geplanten Kohleausstieg vorzuziehen. Ist EnBW dazu bereit?
Kusterer: Aktuell planen wir die Abschaltung unseres letzten Steinkohlekraftwerks 2032. Aber wir wären technisch in der Lage und auch bereit, schon 2030 auszusteigen. Dafür müssen allerdings die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden – allen voran der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien, die dann 80 Prozent des Energiebedarfs decken müssten, und der Bau neuer Gaskraftwerke, sonst wäre die Versorgungssicherheit nicht nur, aber gerade im Süden Deutschlands nicht mehr gewährleistet.
Organisationen wie Urgewald fordern nicht nur, dass EnBW schneller aussteigen sollte, sondern monieren auch, dass sich der Konzern nicht von „zweifelhaften Kohlelieferanten“ wie Drummond und Glencore distanziert.
Kusterer: Wir sind absolut transparent, woher wir unsere Kohle beziehen, und wir wissen, dass es an der Kohleförderung in einigen Ländern Kritik gibt. Wir tun alles, was wir können, um eine Versorgung sicherzustellen, die den ESG-Kriterien so weit wie irgendwie möglich entspricht.
Macht die DZ Bank in den Gesprächen mit Ihnen Druck, dass EnBW früher aus der Kohle aussteigt? Andere Versorger wie Enel oder Vattenfall schaffen das schließlich auch.
Kusterer: Diese Versorger haben von vornherein einen völlig anderen Energiemix, deshalb ergeben Vergleiche hier wenig Sinn. Grundsätzlich sprechen wir mit allen Banken darüber, was ein realistischer Zeitraum für einen Kohleausstieg ist. Aber was sollen die Banken denn tun? Sie können die Rahmenbedingungen in Deutschland ja nicht ändern.
>> Lesen Sie hier: EU-Kommission stuft Atomkraft und Erdgas als nachhaltig ein
Die DZ Bank könnte von Ihnen höhere Kreditzinsen verlangen oder die Geschäftsbeziehung ganz beenden. Sie ist auf EnBW als Kunden ja nicht angewiesen.
Riese: Es gibt einen demokratisch ausgehandelten Weg, wie der Energiemix in Deutschland in den nächsten Jahren verändert werden soll. Wenn sich Energieproduzenten wie EnBW messbar an diesen Weg halten und transparent darüber berichten, sehe ich keinerlei Anlass für uns Banken zu sagen: Wir finanzieren euch nicht mehr. Zumal sogar die Konditionen des Konsortialkredits mit den Banken transparent an Nachhaltigkeitskennzahlen geknüpft sind. Wir wollen EnBW und andere Unternehmen, die sich transformieren, weiter begleiten, auch wenn wir dafür hier und da etwas Gegenwind bekommen.
Hat sich die DZ Bank denn schon von Unternehmenskunden getrennt, die sich nicht glaubhaft nach ESG-Kriterien ausrichten?
Riese: Ja, wir haben auch einige Engagements zurückgefahren. Wir haben Ausschlusskriterien, beispielweise finanzieren wir keine neuen Kohleprojekte, und erwarten von unseren Kunden auch einen glaubwürdigen Transformationspfad. Aber wir treten gegenüber unseren Kunden als Berater und Begleiter auf – und nicht als Polizist. Unser Engagement bei Kohlestrom ist grundsätzlich sehr gering. Es macht weniger als ein Prozent unseres gesamten Kreditportfolios aus.
Künftig müssen Banken eine sogenannte „Green Asset Ratio“ ausweisen, die anzeigen soll, wie nachhaltig ihr Kreditportfolio ist. Was halten Sie davon?
Riese: Ist eine Bank, die eine Green Asset Ratio von 100 Prozent hat, weil sie nur Tesla finanziert, am besten? Wir meinen nicht, denn Tesla findet ohnehin genug Investoren. Ein Institut mit einer Green Asset Ratio von fünf Prozent, das viele Kunden bei ihrer Transformation begleitet, könnte für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft viel wichtiger sein. Die Green Asset Ratio wird Stand jetzt wenig aussagekräftig sein. Wir sollten mehr über Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit reden und weniger über moralische Kategorien wie „grün“ oder „nicht grün“.
Demnächst steht der erste Klimastresstest der EZB an. Welche Erwartungen haben Sie daran?
Riese: Im Stresstest wird simuliert, wie sich unser Kreditportfolio in verschiedenen Klimaszenarien entwickelt – beispielsweise bei einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um rund drei Grad. Wenn Sie Immobilien in Regionen finanziert haben, die unter dem Meeresspiegel liegen, müssen Sie dort für 2035 beispielsweise höhere Abschreibungen simulieren. Ich finde es richtig, dass wir uns mit solchen Themen beschäftigen. Aber der Erkenntnisgewinn und die Lenkungswirkung werden beim ersten Durchlauf überschaubar sein.
Wie bewerten Sie den Umgang von Regulatoren mit dem Thema Nachhaltigkeit grundsätzlich?
Riese: ESG ist auch ein qualitatives und langfristiges Thema. Der Regulator nähert sich dem aber so quantitativ und granular, wie wir es aus der Kapital- und Liquiditätssteuerung kennen. Das führt zu komplexen Anforderungen, die über die Banken dann bei den Firmenkunden landen. EnBW als großes Unternehmen kann diese Datenanforderungen erfüllen, aber viele kleine und mittelständische Firmen nicht. Wenn wir die Bankenregulierung nicht klug und pragmatisch gestalten, drohen unerwünschte Nebeneffekte.
Welche Effekte wären das?
Riese: Wenn die Anforderungen an Unternehmen in Europa unerreichbar sind, wird es zu Verlagerungen kommen – zum Beispiel in der Grundstoff- oder Zementindustrie. Der Zement wird dann nicht mehr in den effizientesten Zementkraftwerken der Welt in Deutschland produziert, sondern weniger nachhaltig in China. Und von da wird er dann mit Schiffen wieder nach Deutschland transportiert. Das müssen wir unbedingt vermeiden.
Herr Riese, Herr Kusterer, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Drei Grad Erderwärmung, Preissprung bei CO2-Emissionen, Hitzewellen: EZB-Klimastresstest startet
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