DIA-Konferenz: Reform der Altersvorsorge: Was der Blick ins Ausland lehrt

Frankfurt Mehr Kapitaldeckung in die Altersvorsorge, dem Lebensalter angepasste Ansparmodelle, verpflichtende betriebliche Vorsorge, automatisierte Anpassung des Renteneintrittsalters, digitaler Überblick über alle Rentenansprüche: In europäischen Nachbarländern könnte sich die neue Bundesregierung vieles abschauen, was für ihre geplante Reform der Altersvorsorge taugt. Vor allem sollten die Politiker der Ampelkoalition zügig und beherzt loslegen, um das Problem der abschmelzenden Versorgung Älterer vor allem infolge der alternden Gesellschaft zu lösen. Das forderten die Teilnehmer einer digitalen Konferenz des Deutschen Institutes für Altersvorsorge (DIA), des Sprachrohrs der Finanzbranche für das Thema in Berlin.

Um die im Koalitionsvertrag genannten Ziele für die Altersvorsorge anzugehen, könne sich die Bundesregierung in verschiedenen Vorsorgesystemen Europas etwas abschauen, meinte Tabea Bucher-Koenen, Wirtschaftsprofessorin an der Universität Mannheim und Ökonomin am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Rentensysteme in anderen Staaten seien oft nachhaltiger aufgestellt dank einer stärkeren Finanzierung über den Kapitalmarkt, pflichtete Udo Müller, leitender Altersvorsorgeexperte bei der Unternehmensberatung Mercer in Deutschland, bei. Mercer vergleicht regelmäßig Rentensysteme verschiedener Länder.

So führten die Schweden seit Anfang des Jahrtausends für die gesetzliche Rente individuelle Konten für die Bürger und legten dort 2,5 Prozent des Bruttolohns am Kapitalmarkt an, erklärte Bucher-Koenen. Jeder Bürger könne dafür selbst fünf Fonds oder den staatlichen AP7-Fonds auswählen. Das System sei effizient und kostengünstig, sagte sie.

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Die Konten würden nicht von Fondsanbietern, sondern staatlich geführt. Die Fondsmanager managen das gesammelte Kapital. Eine solche „zentralisierte Anlageentscheidung hat einen großen Hebel“, meinte die ZEW-Expertin. Anleger müssten beispielsweise auch nicht sieben Seiten Kleingedrucktes über Kosten lesen.

Liberale verweisen gern nach Schweden

Die Bundesregierung will zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente nicht nur einen Teil des Kapitals am Aktienmarkt anlegen, sondern auch die betriebliche und private Vorsorge durch Anlagen mit höheren Renditechancen stärken. Vor allem FDP-Politiker verweisen gern nach Schweden im Zusammenhang mit ihrer Idee einer sogenannten Aktienrente. Dafür sollen 2022 zunächst zehn Milliarden Euro für die gesetzliche Rente am Kapitalmarkt angelegt werden.

Das sei aber kein Übergang zu einem schwedischen System mit Kapitaldeckung, betonte Ökonomin Bucher-Koenen. Die von der Regierung geplante Aktienrente könne nur Teil einer Rentenreform sein, meinte auch Alexander Leisten, Chef des Fondsanbieters Fidelity International in Deutschland: „Es braucht dringend ein Umdenken in der Rentenpolitik in allen drei Säulen.“

Um die Ziele für die Altersvorsorge anzugehen, könne sich die Bundesregierung in verschiedenen Vorsorgesystemen Europas etwas abschauen, meint die Expertin. Quelle: ZWE / Anna Logue

Tabea Bucher-Koenen

Um die Ziele für die Altersvorsorge anzugehen, könne sich die Bundesregierung in verschiedenen Vorsorgesystemen Europas etwas abschauen, meint die Expertin.


(Foto: ZWE / Anna Logue)

Das gesetzliche Rentenniveau will die Bundesregierung bei 48 Prozent des letzten Netto-Durchschnittseinkommens stabilisieren. Wissenschaftler hätten aber berechnet, dass rund 85 Prozent nötig seien, sagte Leisten. „Wir brauchen zunächst ein Problembewusstsein für diese Lücke“, betonte er.

Rentensysteme anderer Länder wie der Niederlande seien stabiler in einer alternden Gesellschaft, wie Udo Müller von Mercer betont. Kern dieses Systems sei eine obligatorische betriebliche Vorsorge, die helfe, das Versorgungsniveau auf rund 80 Prozent zu bringen.

Mehr Kapitalmarkt in der Altersvorsorge gilt als „elementar“

Ein Denken Richtung Kapitalmarkt sei elementar für die Vorsorge, sagte Fidelity-Chef Leisten, dessen Haus viele auf das Lebensalter abgestimmte Fondssparpläne für die private und betriebliche Vorsorge anbietet. Solche Modelle nutzten die Schweden auch für die gesetzliche Rente, so Bucher-Koenen.

In der privaten Vorsorge will die Bundesregierung unter anderem renditestärkere, preiswerte Alternativen zur geförderten Riester-Rente prüfen. Dafür gibt es Vorschläge für einen staatlich organisierten Fonds à la Schweden, die den Finanzanbietern Kopfschmerzen bereiten, da dies ihr Vorsorgegeschäft konterkarieren könnte. Die Branche hat der Regierung ebenfalls Reformideen eingereicht.

Vorbilder für das deutsche Rentensystem erkennen die Experten noch an zwei anderen Stellen. Die Niederlande, Dänemark, Schweden und Italien koppeln den Renteneintritt an die Entwicklung der statistischen Lebenserwartung. Das stellt deren Rentensysteme teils automatisch auf die Alterung der Gesellschaft ein. Hierzulande dagegen werde gern lange diskutiert, ob solche Anpassungen möglich seien, moniert Berater Müller.

Wichtig sind nach Ansicht von ZEW-Ökonomin Bucher-Koenen auch digitale Rentenüberblicke, die es in Schweden, Dänemark und den Niederlanden gibt. Es sei wichtig, dass die Menschen auf einen Blick sähen, welche Ansprüche sie insgesamt hätten und was gegebenenfalls noch fehle. In Deutschland wurde eine solche Übersicht vor Jahren beschlossen, umgesetzt ist sie aber noch nicht.

Mehr: Was der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung für Anleger und Verbraucher bedeutet

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