Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz muss sich definitiv vor dem Zürcher Bezirksgericht verantworten, sein Antrag um Verschiebung wurde abgelehnt. Es ist der grösste Wirtschaftsprozess seit der Swissair-Pleite.
Das Wichtigste in Kürze
- Unter regem Interesse hat in Zürich der Prozess gegen Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz begonnen.
- Die Staatsanwaltschaft wirft Vincenz und dessen Geschäftskollegen Beat Stocker unter anderem Betrug und ungetreue Geschäftsbesorgung vor.
- Einer der insgesamt sieben Angeklagten ist an Corona erkrankt und wird erst am 9. März gehört.
- Die Anwälte von Stocker und Vincenz forderten deshalb einen Aufschub der Verhandlung. Für das Bezirksgericht kommt dies aber nicht infrage, wie es nach vierstündiger Beratung bekannt gab.
Der grösste Wirtschaftsprozess der Schweiz seit 20 Jahren wirft einmal mehr kein gutes Licht auf den Finanzplatz Schweiz, der immer wieder von Skandalen, Affären und Streitigkeiten mit Steuerbehörden auf der ganzen Welt erschüttert wird. Verliert der Finanzplatz seine Glaubwürdigkeit und damit auch an Bedeutung?
18.09 Uhr
Fehler bei Übernahmen eingeräumt
Die Staatsanwaltschaft wirft Vincenz ebenfalls vor, dass er die Übernahme von Firmen vorangetrieben haben soll, an denen er sich versteckt privat beteiligt hatte. In Fall Commtrain räumte er ein, dass er seine Beteiligung nicht offengelegt habe.
Das sei vor 15 Jahren gewesen, er sei unerfahren gewesen, begründete der 65-Jährige. Es habe sich um eine private Investition gehandelt. Aus Diskretionsgründen habe er nicht gewollt, dass bekannt werde, dass er im KMU-Bereich investiere.
Bei anderen Deals machte er geltend, dass er zum Zeitpunkt der Übernahmen keine Beteiligung mehr gehalten habe oder dass es sich bei den festgestellten Überweisungen nicht um Gewinnbeteiligungen, sondern um erhaltene Privatkredite gehandelt habe. «Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas Kriminelles unternehmen habe.» Er fühle sich unschuldig, meinte er auf eine entsprechende Frage des Richters.
18.05 Uhr
Vincenz weist Vorwürfe zurück
Pierin Vincenz hat vor dem Bezirksgericht Zürich die Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen: Die Spesen, die er geltend gemacht habe, seien geschäftlich begründet gewesen.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, über Geschäftsspesen Besuche in Stripclubs (200’000 Franken), private Reisen (250’000 Franken) und Anwaltskosten für private Beratungen (140’000 Franken) abgerechnet zu haben.
Einzig bezüglich Anwaltskosten und einzelner kleiner Posten räumte Vincenz Fehler ein. So seien gewisse Rechnungen von seinem Anwaltsbüro statt an ihn irrtümlicherweise an die Bank gesandt und von dieser beglichen worden.
Zu den Vorwürfen, Auslagen in Nachtclubs und Stripclubs als «Nachtessen» auf Geschäftsspesen genommen zu haben, meinte der 65-Jährige, dass diese «Besuche im Rahmen von Nachtessen und Veranstaltungen» erfolgt seien. Dabei habe es sich um Beziehungspflege mit Geschäftsleuten gehandelt.
Auch bezüglich Reisen hielt Vincenz fest, dass diese im Grossen und Ganzen geschäftlich begründet gewesen seien. So habe es sich beispielsweise beim Kochclub, den er auf Bankkosten zu einem Ausflug im Privatjet eingeladen hatte, um ein «Geschäftsclub» gehandelt. Es sei um Kontakte gegangen, nicht ums Kochen. «Es wurden konkret Geschäfte abgeschlossen.»
16.25 Uhr
Prozess wird fortgesetzt
Das Bezirksgericht Zürich wird die Verhandlung rund um Ex-Bankchef Pierin Vincenz wie geplant fortsetzen. Es hat eine von mehreren Verteidigern beantragte Verschiebung des Prozesses abgelehnt.
Bei einem sofortigen Start der Verhandlung müssten die ersten Plädoyers gehalten werden, bevor sich der letzte Beschuldigte zu Wort gemeldet habe, hatte Vincenz’ Anwalt kritisiert. Und der Verteidiger von Beat Stocker meinte, dass ohne Verschiebung eine «Verzettelung der Hauptverhandlung» drohe.
Für das Bezirksgericht kommt eine Verschiebung nicht in Frage, wie es nach einer vierstündigen Beratung der Vorfragen festhielt, welche verschiedene Verteidigerteams am Dienstagvormittag aufgeworfen hatten. Das rechtliche Gehör bleibe auch bei einer späteren Befragung gewahrt, hielt der vorsitzende Richter fest.
14.55 Uhr
Wie es weitergeht
Das Bezirksgericht Zürich hat am Vormittag alle Vorfragen der Parteien gesammelt. Es berät zur Stunde über die verschiedenen offenen Punkte – inklusive der beantragten Verschiebung. Um 16 Uhr wird es seine Entscheide bekannt geben.
Erst danach wird das Gericht, sofern es sich nicht für eine Verschiebung entscheidet, in die eigentliche Verhandlung mit der Befragung der anwesenden Beschuldigten und den Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Privatkläger und der Verteidigerteams einsteigen.
13 Uhr
Der Prozess in Bildern
11.40 Uhr
Staatsanwalt bei der Anklage nachbessern
Der Verteidiger von Beat Stocker pocht wegen der Corona-Erkrankung eines Angeklagten auf eine Prozess-Verschiebung. Ohne diese drohe eine «Verzettelung der Hauptverhandlung». Er beantragte zudem, dass die Anklage zur Überarbeitung an die Staatsanwaltschaft zurückgeschickt werden soll. Diverse Vorwürfe seien verjährt, in anderen fehlten Strafanträge.
Im Rahmen der Vorfragen versuchten auch weitere Verteidiger, die Hauptverhandlung vor ihrer eigentlichen Durchführung zu stoppen – oder zumindest hinauszuzögern. So forderte etwa der Verteidiger eines Mitbeschuldigten, dass das Verfahren zu sistieren sei und die Staatsanwaltschaft das Vorverfahren wiedereröffnen müsse.
Denn gegen die schweren Vorwürfe könne sich sein Mandant, der in der Westschweiz lebt, nicht persönlich verteidigen. Es sei kein faires Verfahren möglich – weder die Anklageschrift noch die wesentlichen Akten seien auf Französisch übersetzt worden. Laut Verteidiger ist eine diesbezügliche Beschwerde beim Bundesgericht noch hängig.
Ein weiterer Verteidiger stellte den Antrag, dass zumindest das Verfahren gegen seinen Mandanten ganz eingestellt werden soll. Der 68-Jährige sei wegen einer neurologischen Erkrankung nicht mehr verhandlungsfähig. Die Krankheit sei weder heilbar noch in ihrem Verlauf wesentlich beeinflussbar.
11.40 Uhr
Staatsanwalt will vorwärts machen
Der Staatsanwalt sprach sich gegen eine Verschiebung der Verhandlung aus. Dies sei nicht notwendig. So habe sich etwa der abwesende Mitbeschuldigte bereits im Rahmen der Untersuchung zu den Vorwürfen geäussert. Die Verfahrensrechte des französischsprachigen Beschuldigte seien gewahrt worden; dessen Übersetzungsanträge seien zweimal vom Zürcher Obergericht abgelehnt worden.
Das Bezirksgericht Zürich sammelt vorerst alle Vorfragen der Parteien. Es wird danach über die verschiedenen offenen Punkte – inklusive der beantragten Verschiebung – entscheiden. Dies dürfte frühestens im Verlaufe des Nachmittags der Fall sein.
Erst dann wird das Gericht, sofern es den Prozess nicht verschiebt, in die eigentliche Verhandlung mit der Befragung der anwesenden Beschuldigten und den Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Privatkläger und der Verteidigerteams einsteigen.
9.15 Uhr
Anwälte fordern Verschiebung
Vincenz’ Anwalt machte nun geltend, dass alle Beschuldigten vor dem Beginn der Plädoyers befragt werden müssten. Der Verteidiger von Beat Stocker stellte sich hinter diesen Antrag. Ohne Verschiebung drohe eine Verzettelung der Hauptverhandlung.
Er beantragte im Rahmen einer Vorfrage zudem, dass die Anklage zur Überarbeitung an die Staatsanwaltschaft zurückgeschickt werden soll. Diverse Vorwürfe seien verjährt, in anderen fehlten Strafanträge. Der Staatsanwalt sprach sich gegen eine Verschiebung der Verhandlung aus. Dies sei nicht notwendig, der abwesende Mitbeschuldigte habe sich im Rahmen der Untersuchung zu den Vorwürfen geäussert.
Das Bezirksgericht Zürich sammelt vorerst alle Vorfragen der Parteien. Dann wird es über alle offenen Punkte – inklusive der beantragten Verschiebung – entscheiden. Erst danach wird es in die eigentliche Verhandlung einsteigen.
Im Theatersaal des Zürcher Volkshauses startet am heutigen Dienstag eine besondere Vorstellung, deren Ende noch nicht geschrieben ist: Der ehemalige Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und dessen Geschäftskollege Beat Stocker müssen sich unter anderem wegen Betrugs und Ausgaben in Stripclubs auf Geschäftsspesen verantworten.
Die Staatsanwaltschaft fordert für die beiden, die vor der Verhandlung zu verschiedenen Zeitpunkten die Vorwürfe zurückgewiesen hatten, eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Fünf Mitbeschuldigte stehen wegen Beihilfe vor dem Gericht.
Einer der Mitbeschuldigten muss seinen Auftritt im Volkshaus jedoch verschieben. Er ist an Corona erkrankt und sitzt in Isolation. Das Gericht hat seine Befragung deshalb erst auf den 9. März angesetzt.
«Monsterprozess» sprengt üblichen Rahmen
Die Verhandlung gilt als «Monsterprozess». Dies nicht nur wegen der angehäuften Akten – auch zeitlich wird die Verhandlung, die am heutigen Dienstag startet, den üblichen Rahmen sprengen. Die Plädoyers, welche Staatsanwaltschaft und die involvierten Anwälte angekündigt haben, sind so lang, dass der Richter diese um eine «Verdichtung» ihrer Vorträge – also eine Kürzung – gebeten hat.
Der Prozess rund um den langjährigen Chef der drittgrössten Schweizer Bankengruppe bringt das Zürcher Bezirksgericht auch in gewisse organisatorische Nöte. Die angesetzten Verhandlungstage in dieser Woche von Dienstag bis Freitag sowie am 9. Februar dürften kaum ausreichen. Es werden nun Zusatztermine gesucht, die allen Beschuldigten und Rechtsvertretern passen.
Zudem gibt es auch gewisse räumliche Einschränkungen. Da das Bezirksgericht angesichts des Publikumsinteresses – es sind mehrere Dutzend Medienvertreterinnen und Medienvertreter angemeldet – zu klein ist, tagt es extern im Volkshaus.
Es werden nicht alle Platz finden
Dort steht am Dienstag und Mittwoch der grosse Theatersaal zur Verfügung. In diesem finden alle angemeldeten Journalistinnen und Journalisten Platz – allen stehen gar Tische zur Verfügung. Am Donnerstag und Freitag, wenn die Plädoyers im Blauen Saal und im Weissen Saal weitergehen werden, werden indes nur 15 beziehungsweise 25 Medienvertreter eingelassen.
Gemäss Staatsanwaltschaft sollen Vincenz und Stocker mit Firmendeals, bei denen sie sich verdeckt beteiligt hatten, sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschäftsspesen einen unrechtmässigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben.
SDA/phi
olgr, sda
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