»Tatort« aus Köln
»Der Arzt, dem die Sauen vertrauen«
Boulevard der Dämmerung: Der Köln-»Tatort« handelt von Schauspielern, deren glanzvolle Tage vorbei sind. Einer von ihnen treibt eines Tages tot im Pool. Sarkastisch, zärtlich, klug.
Der neue Köln-»Tatort« ist ein Swimmingpool-Thriller, der im Schauspielmilieu angesiedelt ist. In Hollywood wäre er so inszeniert worden: Junge, schöne, durchtrainierte Menschen belauern und betrügen sich am Beckenrand, während sich die Sonne im hellblauen Nass bricht. Irgendwann liegt eine Leiche im Pool.
In Köln ist er jetzt so inszeniert worden: Ein Haufen in die Jahre gekommener Fernsehdarstellerinnen und Fernsehdarsteller gruppiert sich um ein Becken, das in kalter Winternacht dampft oder in dem das Herbstlaub modert. Auch hier liegt irgendwann eine Leiche im Pool.
Thomas Heinze als Schauspieler Seitz: Drohende Popularitätsdämmerung
Foto: Thomas Kost / WDR
Die Leiche ist die des so eitlen wie amoralischen Thore Bärwald (Max Hopp), der gern seinen Spott auf die Kollegenschaft ergoss. Der Pool gehört dem fleißigen Fernsehmalocher Moritz Seitz (Thomas Heinze), der als »Tierdoktor Schröder« ein passables Auskommen in den seichteren Zonen der TV-Unterhaltung gefunden hat. Rollenprofil: »Der Arzt, dem die Sauen vertrauen.«
Früher Star, heute Alkoholiker
Der Todesfall ereignet sich in der Silvesternacht 2017/2018, Poolbesitzer Seitz wird wenig später als Mörder verurteilt. Doch Kommissar Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Kollege Schenk (Dietmar Bär) kommen nicht zur Ruhe, denn vier Jahre später behauptet plötzlich der Schauspielkollege Ole Stark (Martin Feifel), er sei der wahre Mörder. Stark ist Alkoholiker und als Fernsehgesicht schon lange weg vom Fenster, er hat wenig zu verlieren, vielleicht kommt er in Haft ja sogar vom Schnaps weg. Jetzt wandert er bereitwillig in den Bau – und Seitz kommt raus.
Foto: Bettina Müller / SWR
Doch die Welt hat offenbar nicht auf die Rückkehr des guten Tierdoktors Schröder gewartet, zudem bleibt ein Schatten des Verdachts auf seiner Biografie zurück. Als Arzt, dem Mensch und Tier vertrauen, ist Seitz nicht mehr tragbar, und seine Ehefrau (Nina Kronjäger), eine ebenfalls strauchelnde Schauspielerin, der ihr langjähriger Job in einer Polizei-Vorabendserie entzogen wurde, hat sich einen anderen, jüngeren Mann ins gemeinsame Haus geholt. Einen Streifenpolizisten in Uniform, ausgerechnet. Das fühlt sich ein bisschen an wie »Großstadtrevier« in den echten eigenen vier Wänden.
Endstation »Vorabend«
Aber was ist nun wirklich damals passiert? Kunstvoll wechseln die Filmemacher die beiden Zeitebenen, die kurzen pointierten Dialoge greifen ineinander. Autor Wolfgang Stauch und Regisseur Torsten C. Fischer hatten zuvor unter anderem die Kölner »Tatort«-Episode über Verbrechen aus DDR-Zeiten gedreht; schon dort flossen die Erzählebenen elegant ineinander. In »Vier Jahren« finden die beiden Filmemacher im steten Zeitenwechsel einen starken Sound: sarkastisch, aber zuweilen auch zärtlich.
Immer wieder fühlt man sich bei diesem »Tatort« an »Boulevard der Dämmerung« erinnert, Billy Wilders Inside-Hollywood-Thriller aus dem Jahr 1950. Darin spielte der ehemalige Stummfilmstar Gloria Swanson einen ehemaligen Stummfilmstar, in dessen Schwimmbecken gleich am Anfang des Films ein toter Journalist treibt. Wie Wilder spielen auch die Verantwortlichen des »Tatorts« mit biografischen Versatzstücken ihrer Darsteller: Feifel hat selbst öffentlich gemacht, dass er Alkoholiker ist. Heinze und Kronjäger waren im echten Leben lange Zeit ein Paar.
Die drohende Popularitätsdämmerung erscheint in diesem Thriller, der in den düsteren Jahreszeiten angesiedelt ist, visuell und verbal in jedem Moment präsent. Schon wie hier von den Beteiligten immer wieder das Wort »Vorabend« ausgesprochen wird – als handle es sich dabei um die letzte Ausfahrt vor dem Schauspieltod. Das ist das Berührende an diesem bösen »Tatort«: Feifel, Heinze und Kronjäger spielten, als ginge es um ihr Leben.
Verwechslungen dieses Lebens mit den verkörperten Rollen sind dabei nicht ausgeschlossen. In einer der schönsten Szenen sagt die von Kronjäger verkörperte Ex-Vorabend-Polizistin zum Kommissar: »Ich bin vom Fach. Ich habe gespielt, was Sie sind.«
Bewertung: 9 von 10 Punkten
»Tatort: Vier Jahre«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
Note: This article have been indexed to our site. We do not claim legitimacy, ownership or copyright of any of the content above. To see the article at original source Click Here