Update vom 27.01.2022: Das Insurtech-Startup Helvengo schließt eine Seed-Finanzierung in Höhe von 4,1 Millionen Euro ab. Der Immobilienkonzern Hypoport, das Medienunternehmen TX Ventures, Postfinance Ventures und weitere Geldgeber haben sich an der Runde beteiligt. Beim Vertrieb arbeitet Helvengo mit seinem Investor Hypoport zusammen, der die Expansion mit seinem Maklernetzwerk antreiben will.
Es ist die Horrorvision jedes Geschäftsführenden: Ein scheidender Mitarbeiter löscht aus Rachegelüsten wichtige Daten vom Firmenserver. Kundeninfos, E-Mails, Backups – alles geht dauerhaft und unwiederbringlich verloren. Erst vor gut einem halben Jahr ereignete sich ein solcher Vorfall bei einem Mittelständler in Baden-Württemberg. Wohl aus Frust über ein fehlendes Übernahmeangebot hatte ein Leiharbeiter eine computergesteuerte Drehmaschine sabotiert und mehr als 550 für ihren Betrieb notwendige Teilfertigungsprogramme gelöscht. Laut der Esslinger Zeitung entstand ein Schaden von 40.000 Euro.
Gerade kleinere Betriebe können durch derartige Pannen schnell in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Viele sichern sich deshalb mit speziellen Versicherungen für Unternehmen ab. Diese springen auch ein, wenn es beispielsweise infolge eines Brandes zu Schäden im Warenlager kommt oder ein wichtiger Kunde plötzlich seine Rechnungen nicht mehr zahlt.
Das Problem: Die Fülle an schwer kalkulierbaren Geschäftsrisiken ist so groß, dass Versicherer üblicherweise mehrere Policen in teuren Gesamtpaketen bündeln. Ganz nach dem Motto: Viel hilft viel. Das sieht Vedran Pranjic anders. „Eine kleine IT-Firma braucht sicher eine Betriebshaftpflicht und eine Cyberversicherung, andere Policen wie etwa eine D&O-Versicherung (Directors-and-Officers-Versicherung, auch Organ- oder Manager-Haftpflichtversicherung, Anm. d. Red.) werden dagegen oft erst später gebraucht“. sagt der Gründer des Zürcher Insurtechs Helvengo im Gespräch mit Gründerszene. Zudem laufe der Abschluss entsprechender Versicherungen bisher kaum digital ab. „Anträge auf Papier sind in der Branche noch weit verbreitet und oft dauert es mehrere Tage, wenn nicht sogar Wochen, bis man als Unternehmen den benötigten Versicherungsschutz bekommt“, so Pranjic.
Der Algorithmus weiß, welchen Schutz eine Firma braucht
Hier setzt sein Unternehmen an. Gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern Benedikt Andreas und Felix Huemer will der Schweizer den Markt für KMU-Versicherungen um eine digitalere und vergleichsweise kostengünstige Alternative erweitern. Helvengo bietet Kunden dazu eine KI-gestützte Risikoanalyse ihres Unternehmens an, die das sonst aufwändige Erhebungsverfahren bestehend aus rund 200 möglichen Fragen auf die für die jeweilige Firma 15 relevantesten eingrenzt.
An welchem Standort ist das Unternehmen gemeldet? Wie viele Mitarbeiter werden beschäftigt und welche Umsätze erzielt? Auch Bonitätsdaten und Informationen aus Handelsregistern fließen laut Pranjic in die Beurteilung mit ein. Auf dieser Basis schlägt das System passende Policen vor, für einen selbstständigen IT-Berater zum Beispiel eine D&O-Versicherung. Nach der finalen Auswahl der Module, wie Pranjic sie nennt, bekommt der Nutzer die Police in wenigen Minuten per E-Mail zugeschickt. Für das Matching kooperiert Helvengo mit dem Rückversicherer Markel, der das Startup wiederum an seinen Prämien beteiligt. „Wir reduzieren manuelle Prozessschritte unserer Risikoträger und können so an der Prämie partizipieren, ohne dass der Vertrieb bei der gewohnten Provision einbüßen muss“, fasst Pranjic das Geschäftsmodell zusammen.
Die Idee entstand beim Ex-Arbeitgeber
Pranjic und seine Mitgründer sind in der Branche keine Neulinge. Alle drei waren zuvor in verschiedenen Führungspositionen beim Berliner Versicherungs-Startup Wefox tätig. Andreas baute für das inzwischen milliardenschwer bewertete Unicorn anfänglich das Geschäft in der Schweiz auf, Huemer und Pranjic kümmerten sich um die weltweite Expansion. In dieser Zeit sei auch die Idee zu einem Service wie Helvengo entstanden, erzählt Pranjic. „Wefox hat sich schon immer klar auf das Privatkundengeschäft beschränkt, aber über die Jahre haben wir immer wieder festgestellt, wie viel ungenutztes Potenzial es gerade im digitalen Versicherungsmarkt für Unternehmen noch gibt.“ Das habe ihn und seine zwei Kollegen motiviert, gemeinsam zu gründen.
Noch steht das Trio allerdings ganz am Anfang. Gestartet haben sie ihre Plattform Helvengo erst im November 2020, das Angebot beschränkt sich bisher auf Firmen im Dienstleistungssektor. Laut Pranjic zählt Helvengo derzeit rund 30 Kunden, darunter IT-Systemhäuser, Beratungen oder Handelsbetriebe. Die Zahl glaubt der Gründer schnell steigern zu können, der Markt sei groß. Er beruft sich auf Daten, wonach allein in Europa jedes Jahr rund 2,5 Millionen neue Unternehmen entstehen. Die große Mehrheit der schon bestehenden Unternehmen beschäftige zudem weniger als 50 Mitarbeiter – genau die Zielgruppe von Helvengo. Und noch ein Aspekt stimmt den Gründer zuversichtlich: „Viele Unternehmen hatten wegen der guten Konjunktur über Jahre richtig gute Geschäfte und haben sich wenig Gedanken um Risiken und effizienten Versicherungsschutz gemacht“, sagt Pranjic. Doch die Corona-Krise habe das geändert. „Wer sich jetzt nicht generell stärker mit dem Thema befasst, der versucht zumindest, seine bisher hohen Versicherungskosten mit passgenauen Policen zu drücken. Davon profitieren wir natürlich“, so Pranjic weiter.
Sechsstellige Finanzierung zum Start
Behaupten muss sich das Zürcher Insurtech allerdings gegen große Konkurrenz. Ein ähnliches Modell wie Helvengo verfolgen etwa die gut finanzierten Anbieter Superscript aus Großbritannien oder InsureQ, das von Rocket Internet unterstützt wird. Als Vorbild gilt indes der US-Anbieter Next Insurance. Erst vergangene Woche wurde das Unternehmen aus San Francisco von Investoren im Zuge einer Finanzierungsrunde mit umgerechnet 3,3 Milliarden Euro bewertet. Laut Pranjic konzentriert sich Next Insurance allerdings mehr auf den schnellem und rein digitalen Direktvertrieb der Policen, weniger auf modulare Angebote wie Helvengo. Hier sehen er und seine Mitgründer deshalb noch eine Lücke.
Investoren hat das Trio damit jedenfalls schon überzeugt. Anfang März schloss Helvengo eine erste Seed-Finanzierung mit einer höheren, sechsstelligen Summe ab. Neben Business Angels wie dem einstigen Alando-Investor Cornelius Boersch hat sich unter anderem der börsennotierte Finanzdienstleister Hypoport an dem Insurtech beteiligt. Der soll nun weitere Aufbauhilfe leisten. Noch in diesem Jahr will Helvengo sein Angebot in Österreich und in Deutschland starten.
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 13. April 2021 und wurde aktualisiert.
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