Eine mit Spannung erwartete Untersuchung zur Party-Affäre beschränkt sich vorerst auf allgemeine Aussagen, um den polizeilichen Ermittlungen nicht vorzugreifen. Das versucht Boris Johnson für seine Verzögerungstaktik zu nutzen – doch die Kritik reisst nicht ab.
Das Politdrama um Boris Johnson und die Lockdown-Partys an der Downing Street hat in den letzten Tagen zusehends Züge einer Farce angenommen. Zwar veröffentlichte die Spitzenbeamtin Sue Gray am Montag einen mit Spannung erwarteten Untersuchungsbericht zur Party-Affäre. Doch fiel der bloss sechs Seiten lange Rapport nicht nur volumenmässig, sondern auch inhaltlich dünn aus. Denn die Londoner Metropolitan Police, die letzte Woche eine Ermittlung zu mutmasslichen Verletzungen der Corona-Restriktionen einleitete, hatte Gray nach einigem Hin und Her gebeten, zu den meisten Zusammenkünften nur minimale Informationen zu veröffentlichen, damit der polizeilichen Untersuchung nicht vorgegriffen werde.
«Exzessiver Konsum von Alkohol»
Vor diesem Hintergrund machte Gray deutlich, dass das am Montag veröffentlichte Dokument erst ein «Update» zu ihren Arbeiten darstelle, aber noch nicht den Abschluss. Denn Gray untersuchte insgesamt sechzehn Zusammenkünfte und Partys an der Downing Street und an Ministerien – zu drei Vierteln davon (darunter auch ein Event in Johnsons Privatwohnung) hat die Polizei nun Ermittlungen aufgenommen. Gray verzichtete am Ende ganz auf die Publikation von Fakten und Beweisen zu den Versammlungen und beschränkte sich auf allgemeine Aussagen.
So befand die Spitzenbeamtin, angesichts der restriktiven Corona-Einschränkungen, welche die Regierung der Bevölkerung auferlegt habe, sei manches Verhalten «schwer zu rechtfertigen». Zwar hätten viele Regierungsmitarbeiter während der Pandemie in engem Kontakt unter schwierigen Bedingungen gearbeitet, doch treffe dies genauso auf die Mitarbeiter des Gesundheitswesens und anderer Schlüsselbereiche zu. Gray betont, dass manche Zusammenkünfte nie hätten stattfinden dürfen, und sie kritisiert offen das «Führungsversagen» an der Downing Street und den «exzessiven Konsum von Alkohol».
Kritik von Parteikollegen
Dennoch vermag der verkürzte Bericht von Gray keinen Schlussstrich unter die Affäre zu ziehen, zumal der Verdacht von Regelverletzungen und Irreführung des Parlaments gegen Boris Johnson und seine Entourage weder eindeutig erhärtet noch entkräftet worden ist. Dies versuchte der Premierminister im Unterhaus zur Fortsetzung seiner Verzögerungstaktik zu nutzen.
Dabei wollte Johnson trotz mehrfachen Nachfragen nicht versprechen, dass Grays Abschlussbericht vollständig veröffentlicht werden wird, wobei dies sein Büro später doch noch in Aussicht stellte. Johnson zeigte sich zuerst reuig und bat erneut um Entschuldigung. Dann kündigte er eine Reihe administrativer Reformen an der Downing Street an, bevor er kämpferisch auf seine Erfolge vom Brexit bis zum Impfprogramm hinwies und gelobte, weiter im Amt zu bleiben und Resultate zu liefern.
Der Labour-Chef Keir Starmer bezeichnete Johnson als «Mann ohne Schamgefühl» und forderte ihn erneut zum Rücktritt auf, zumal nun zweifelsfrei feststehe, dass er Gegenstand polizeilicher Ermittlungen sei. Entscheidend für den Premierminister ist aber die Stimmung in den eigenen Reihen. Ein Teil der Hinterbänkler stellte sich hinter Johnson, andere schienen bereit, bis zum Abschluss der Untersuchung abzuwarten.
‘Either he had not read the rules, or understood the rules, or thought they didn’t apply to him… which was it?’
Conservative former Prime Minister Theresa May speaks out against Boris Johnson after Sue Gray’s findings were published today.
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— GB News (@GBNEWS) January 31, 2022
Doch meldeten sich auch auffällig viele kritische Stimmen zu Wort: Johnsons Vorgängerin Theresa May erklärte, der Zwischenbericht zeige, dass man sich an der Downing Street von Lockdown-Regeln entweder nicht betroffen gefühlt, diese nicht gekannt oder sie nicht gelesen habe. Der einstige Minister Andrew Mitchell erklärte unverblümt, Johnson habe seine Unterstützung verloren.
Affäre ist nicht ausgestanden
Zu einem parteiinternen Misstrauensvotum gegen Johnson käme es, falls sich 54 der 359 konservativen Abgeordneten gegen ihn aussprächen. Doch weiss nur der Vorsitzende des 1922-Komitees von Hinterbänklern, wie viele entsprechende Briefe bereits eingegangen sind. Bei der Stange zu halten versucht Johnson seine Parteikollegen auch mit einer ganzen Reihe neuer Ankündigungen zur Ausschöpfung der Brexit-Vorteile oder zur Nivellierung der regionalen Unterschiede zwischen dem wohlhabenden Süden und dem strukturschwachen Norden. Doch hat der Zwischenbericht Grays den Konservativen nun auch deutlich vor Augen geführt, dass die Party-Affäre noch nicht ausgestanden ist.
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