Frankreichs Präsident hat in Strassburg die Pläne für den EU-Vorsitz seines Landes vorgestellt. Dabei wiederholte er seine Vision von der strategischen Souveränität der Staatengemeinschaft.
Seinen wichtigsten europäischen Sieg hat Emmanuel Macron schon verbuchen können, bevor sein Land am 1. Januar den Vorsitz im EU-Rat übernahm. Kernenergie gilt in Brüssel künftig als nachhaltig. Für dieses Ziel hatte der französische Präsident viele Monate heftig lobbyiert. Kurz vor Jahresbeginn verschickte die EU-Kommission ihren Leitfaden für nachhaltige Geldanlagen und verpasste emissionsfreien Atomkraftwerken ein «grünes Label». Frankreichs Industrie jubelte.
Bei der Atomkraft durchgesetzt
Am Mittwoch in Strassburg musste Macron die Atomkraft mit keinem Wort mehr erwähnen, als er im EU-Parlament über die Pläne der französischen Ratspräsidentschaft sprach. Es reichte, abstrakt an die Herausforderungen des Klimawandels zu erinnern. Europa sei der Ort, der sich mit der CO2-Neutralität bis 2050 die ehrgeizigsten Klimaziele der Welt gesetzt habe, sagte der Präsident. Dass sich zur Erreichung dieses Ziels das französische Narrativ vom Segen der nuklearen Stromgewinnung durchgesetzt hat, ist den Europaabgeordneten wohl bewusst.
Zum zweiten Mal – nach einer ähnlichen Grundsatzrede im Élysée-Palast im Dezember – holte Macron aus, um Frankreichs Agenda für die kommenden sechs Monate zu skizzieren und um einmal mehr für die «strategische Autonomie» zu trommeln, die man derzeit dringender brauche denn je. Natürlich nutzte Macron die Strassburger Bühne auch, um sich im Wahlkampf gegenüber den Rivalen von rechts und links als progressiver Europäer zu profilieren.
Statt läppischer fünf Minuten, die das Parlament ursprünglich für seine Rede veranschlagt hatte, sprach Macron fast vierzig Minuten lang über die Zukunft der EU und über die «drei grossen Versprechen von Demokratie, Fortschritt und Frieden». Die Rechtsstaatlichkeit als Grundsatz in der EU müsse verteidigt werden, sagte er, sonst drohe die Rückkehr zu einer Willkürherrschaft.
Neben der globalen Erwärmung zählte der Präsident die Digitalisierung sowie die Frage von Sicherheit und Frieden zu den drei grossen Herausforderungen für die Gemeinschaft. Die Europäer müssten Krisen vorausschauend begegnen können und ihre Zukunft nicht von den Entscheidungen anderer Mächte abhängig machen.
Was bedeutet das konkret? Für Macron geht es um Investitionen in Zukunftstechnologien wie Wasserstoff, um den Aufbau eines «echten digitalen Binnenmarktes» zur Schaffung «europäischer Champions» sowie um eine Reform des Schengen-Raums. Die EU müsse ihre Aussengrenzen schützen können, unter anderem durch den Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe. Sie müsse zur Bekämpfung illegaler Migration Schleuser-Netzwerke bekämpfen und Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitländern festigen. Neu ist das alles nicht, es deckt sich fast wortgleich mit den Plänen der Brüsseler Kommission.
Für Macron ist Souveränität jedoch nicht nur die Fähigkeit, sich selbst mit Produkten wie Mikrochips versorgen zu können, sondern auch gegen «Destabilisierung, Einmischungen und Manipulationen» von aussen gewappnet zu sein. Der Präsident hat seinen Traum von einer gemeinsamen Verteidigungspolitik noch nicht ausgeträumt. In Strassburg sprach er von einer «neuen Sicherheitsordnung» und einer «strategischen Wiederaufrüstung», um sich als «Macht des Friedens und des Gleichgewichts» positionieren zu können.
Katzenjammer angesichts der Gespräche über die Ukraine
Das richtete sich klar an Putin. Angesichts des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine erinnerte Macron den Kremlchef daran, das Moskau vor drei Jahrzehnten in Helsinki einer europäischen Ordnung zugestimmt habe, die auf dem Prinzip unverletzlicher Staatsgrenzen basiere. Frankreich sei zwar bereit zum offenen Dialog, sagte Macron. Gemeinsam mit Deutschland, Russland und der Ukraine wolle sein Land auch wieder Verhandlungen im sogenannten Normandie-Format führen. Gleichzeitig bereite man aber Sanktionen für den Fall vor, dass Moskau die Regeln verletze.
Macron ist frustriert über die mangelnde «Weltpolitikfähigkeit» der EU; darüber, dass Russen und Amerikaner über das Schicksal der Ukraine verhandelten und Brüssel nicht einmal einen Platz am Katzentisch erhalten hatte. Der französische Präsident, der von einem «starken und unabhängigen Europa» schwärmt, lässt aber offen, wie er die Weichen dafür stellen will.
Dem Brüssel-Korrespondenten Daniel Steinvorth auf Twitter folgen.
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